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Der Krieg in der Ukraine bringt die Ökosysteme des Schwarzen Meeres in Gefahr

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Die rosafarbene Hose und das warme Lächeln von Elena Sokolovska, die wir in den langen Fluren des Labors in Odessa, im Süden der Ukraine, treffen, stehen im Kontrast zu den staubigen Geräten und den abblätternden Wänden. Die auf Phytoplankton spezialisierte Biologin arbeitet allein im fünften Stock des ukrainischen Wissenschaftszentrums für Meeresökologie (UkrNCEM). Seit Kriegsbeginn haben die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen die Hafenstadt verlassen, auf der Flucht vor der Bedrohung durch den Krieg und der fehlenden finanziellen Unterstützung durch den Staat.

Mit kontrollierten Bewegungen greift die Biologin nach den Wasserproben, die sie eine Stunde zuvor entnommen hat. Sie schaut sich die grünliche Flüssigkeit noch einmal genau an. Bis 18 Uhr müssen die Proben nach Kyiv geschickt werden. „Der Postwagen wartet nicht“, betont sie, während sie sich ihren Rucksack aufsetzt.

Die Glasgefäße werden in der Hauptstadt von Alexander Krakhmalny, einer nationalen Referenz für Meeresbiologie, in Empfang genommen. Er wird insbesondere die Menge an Cyanobakterien in den Proben überprüfen, mikroskopisch kleine, blaugrüne Algen, die an bestimmten Stellen im Schwarzen Meer eine Farbveränderung des Wassers bewirken. Einige von ihnen, wie die Nodularia Spumigena, sind für den Menschen giftig.


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„Eine der größten Umweltkatastrophen in Europa seit Tschernobyl“

Für Sokolovska ist diese tägliche Arbeit eine Möglichkeit, sich am Krieg gegen Russland zu beteiligen. Bevor sie das Labor verlässt, wiederholt sie ein letztes Mal in trockenem Ton: „Keine Fotos von den Fenstern, bitte“. Ein einziger Schnappschuss könnte das Labor zu einem bevorzugten Ziel für russische Luftangriffe machen.

Die Meerwasserproben sind deshalb so wichtig, weil sie unerlässlich sind, um „eine der größten Umweltkatastrophen in Europa seit Tschernobyl“ zu dokumentieren, so der stellvertretende ukrainische Außenminister Andri Melnyk. Am 6. Juni 2023 um 2.50 Uhr morgens brach der Kachowka-Staudamm am Fluss Dnipro durch eine später den russischen Streitkräften zugeschriebene Explosion. Das 240 Kilometer lange Reservoir oberhalb dieses Staudamms enthielt mehr als 18 Milliarden Tonnen Wasser.

Um die Entwicklung der Wasserqualität zu dokumentieren, lässt Elena Sokolovska jede Woche Proben analysieren. | Foto: ©Théodore Donguy.

Einige Tage später verurteilte das Europäische Parlament die von Russland begangenen Kriegsverbrechen und sah in der Zerstörung des Staudamms auch einen Fall von Ökozid. Mehrere Stunden nach der Explosion floss die durch Düngemittel, Kraftstoffe und Abwasser verseuchte Süßwassermenge ins Schwarze Meer, nachdem sie Dutzende von Dörfern verwüstet und 58 Ukrainer*innen getötet hatte. Die Ukraine schätzt die Kosten allein dieser Katastrophe auf 3,8 Milliarden Euro.

Vladislav Balinskyy, Hydrobiologe und Mitglied der NGO Green Leaf, stellte sofort die Folgen der Tragödie fest. „Die Konzentrationen von Schwermetallsalzen und anderen giftigen Substanzen waren um das Zehnfache höher als normal“, erklärt er mit ernster Miene, als er sich darauf vorbereitet, in die dunklen Gewässer des Schwarzen Meeres zu tauchen. „Der Abfall des Salzgehalts im Wasser hat dazu geführt, dass einige Wasserorganismen und Krebstiere wie Fischeier und Jungfische abgestorben sind. Aber vor allem die Muschelkolonien, eine endemische und berühmte Art des Schwarzen Meeres, haben nicht überlebt“.

Vladislav Balinskyy taucht neben einem Felsen, der normalerweise mit Muschelkolonien bedeckt ist, auf dem Grund des Schwarzen Meeres. | Foto: ©Théodore Donguy

Ausgestattet mit Kamera und Flossen macht sich Balinskyy auf den Weg, um sie entlang der ukrainischen Küste zu beobachten. In einer Tiefe von zwei Metern liegen die seltsam weiß gefärbten Muschelschalen auf dem Grund des Schwarzen Meeres. Nur wenige Dutzend Meter trennen uns von den überfüllten Stränden von Odessa. Balinskyy nimmt den Schnorchel aus dem Mund. Er erinnert sich an die Folgen der Katastrophe. „Es kam vor, dass ich nach dem Drama um den Staudamm im Sand Fröschen begegnete...“.

Auf seinem YouTube-Kanal, auf dem der Wissenschaftler die Bilanz seiner wöchentlichen Tauchgänge teilt, warnt er: „Ich rate Ihnen, im Moment auf den Verzehr von Muscheln und lokalen Meeresfrüchten zu verzichten“. Das Schwarze Meer hat zwar seinen normalen Salzgehalt wieder erreicht und die Muscheln siedeln sich langsam wieder an, aber „Schwermetalle brauchen sehr lange, um aus biologischen Systemen eliminiert zu werden und werden über die Nahrungsketten weitergegeben“. Seiner Meinung nach wird diese Warnung von ukrainischen und rumänischen Restaurantbesitzerinnen und -besitzern, deren Betriebe stark von Gerichten aus Weichtieren abhängen, ignoriert.

Die Auswirkungen des Krieges auf Säugetiere

Nicht nur Weichtiere sind vom Krieg betroffen. Im Jahr 2023 stellten Wissenschaftler des Naturparks Touzly, darunter Ivan Rusev, ein Massensterben von Walen fast im gesamten Schwarzen Meer fest. Vor allem drei Arten waren schwer betroffen: der Große Tümmler, der Weißseitendelfin und der Schweinswal. Im ersten Kriegsjahr wurden etwa 1.000 Tiere getötet, zwei- bis dreimal mehr als in den Jahren vor Beginn der von Wladimir Putin durchgeführten „Spezialoperation“.

Neben den wiederholten Explosionen, die von den heftigen Gefechten zwischen den Flotten der beiden Kriegsparteien ausgehen, stellt auch der Einsatz von Sonaren durch U-Boote eine erhebliche Bedrohung für das Leben der Säugetiere dar. Die übermäßigen hydroakustischen Emissionen verursachen bei Walen ein Lärmtrauma und beeinflussen ihre Fähigkeit, sich zu bewegen, zu jagen und sich somit richtig zu ernähren.

Die Dokumentation der Auswirkungen des Krieges auf die Arten ist größtenteils dank der Arbeit von Pavel Gol'din möglich, der ebenfalls Wissenschaftler in der Oblast Odessa ist. In einem Bericht, den er im Juli 2023 mit fünf Kolleginnen und Kollegen veröffentlichte, betont er: „Russlands Kriegsaktivitäten zielten auf den verletzlichsten und am besten erhaltenen Teil des nördlichen Ökosystems des Schwarzen Meeres ab, das wichtig für endemische und lokal verbreitete Arten von globaler Bedeutung ist“.

Wenn Korruption die wissenschaftliche Arbeit behindert

Seit dem Beginn des Konflikts ist für Biologinnen und Biologen die Ausübung ihres Berufs besonders schwierig geworden. Für Vladislav Balinskyy, Elena Sokolovska und Galyna Terenko gibt es in diesem Bereich in der Ukraine nach wie vor viel Korruption, und die mangelnde finanzielle Unterstützung durch den Staat gefährdet den Fortschritt der Forschung erheblich.

Elena Sokolovska, eine der wenigen, die im Labor in Odessa geblieben sind, erhält nur 150 Euro im Monat. Mit einem nervösen Lächeln um die Mundwinkel scherzt sie lieber: „Ich bin die beste Freiwillige in der Ukraine!“. Im Laufe der Monate wurde ihr Gehalt nach und nach ohne Erklärung gekürzt. Der Durchschnittslohn in der Ukraine liegt im Oktober 2024 schätzungsweise bei etwas mehr als 470 Euro pro Monat. 

Galyna Terenko, die vor dem Krieg mit Elena zusammenarbeitete, ist zur Meeresstation Concarneau in der Bretagne in Westfrankreich gewechselt. Ihrer Meinung nach stammen die Korruption und die Defizite aus der Zeit vor Februar 2022: „Ich könnte ein Filmdrehbuch darüber schreiben, was in meinem Leben passiert ist: ‚Wie ich 25 Jahre in der ukrainischen Wissenschaft überlebt habe …‘ Damit würde ich garantiert einen Preis gewinnen!“

Die Biologin führt im Detail aus, dass hochrangige Persönlichkeiten einen Teil der Gelder, die normalerweise für wissenschaftliche Einrichtungen bestimmt sind, veruntreuen. Terenko möchte sich jedoch nicht weiter mit diesem Thema aufhalten: „Ich wurde bereits bedroht.“ Keiner dieser Amtsträger wollte unsere Fragen beantworten. Der Umweltminister Ruslan Strelets wurde bei der Regierungsumbildung am Mittwoch, den 4. September 2024, von Präsident Zelensky seines Amtes enthoben.

Terenko arbeitet heute zwar in der Bretagne, beteiligt sich aber weiterhin an der Beobachtung der Ökosysteme des Schwarzen Meeres: „Ich exportiere Spezialausrüstungen in die Ukraine, von deren Existenz die zuständigen Behörden überhaupt keine Ahnung haben. Das Ministerium [für Umweltschutz der Ukraine] wird von Personen geleitet, die von diesem Fachgebiet weit entfernt sind“.

Am Strand von Odessa, weist Vladislav Balinskyy von der NGO Green Leaf nach seinem Tauchgang auch auf die Probleme hin, die seine Organisation mit den ukrainischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern hat: „Der Großteil unserer Tätigkeit vor Gericht richtet sich gegen die Handlungen der Behörden selbst, die als Latifundisten (Eigentümer intensiv bewirtschafteter landwirtschaftlicher Betriebe) handeln und entgegen dem Gesetz Land beschlagnahmen, das zu nationalen Naturparks gehört“. Die Arbeitsbedingungen der Wissenschaftler*innen, die bereits vor Kriegsbeginn behindert wurden, verschlechterten sich in einem entscheidenden Moment.

Die Auswirkungen des Krieges jenseits der Grenzen

Im Schwarzen Meer kennen die Auswirkungen des Krieges keine Grenzen. Vor Constanța, im Osten von Rumänien, treffen sich Matei Datcu und die Besatzung seines Fischerboots jeden Tag um fünf Uhr, um ihre Netze auf dem Meer auszulegen. An diesem milden Augustmorgen kann die scheinbare Ruhe die Fischer nicht täuschen. Ihre Augen sind von einer kurzen Nacht gezeichnet, doch sie bleiben wachsam. Seit zweieinhalb Jahren leiden diese Rumänen nicht unter der Wasserentsalzung oder den Sonaren, sondern unter der Bedrohung durch Treibminen, die mit den Strömungen umherziehen.

Einige hundert Meter vor der Küste von Constanța sucht Matei Datcu den Horizont ab. | Foto: ©Théodore Donguy

Datcu ist zwar genauso besorgt um die Menge an Fisch , die er in den Hafen bringen wird, doch macht er aus seinen Bedenken keinen Hehl: „Seit Kriegsbeginn sind in unserem Fischfanggebiet etwa zehn Minen auf Grund gelaufen“. Er fügt hinzu: „Wir haben uns von der ukrainischen Küste entfernt, um zu fischen.

Unter dem Einfluss von Strömungen und Stürmen trieben viele Minen ab und rammten mehrmals Handelsschiffe. Am 27. Dezember 2023 wurde ein Frachter aus Panama, der auf dem Weg zu einem ukrainischen Hafen war, um Getreide zu laden, in der Donaumündung getroffen und zwei Seeleute wurden verletzt. Er befand sich in dem Fischfanggebiet, in das Matei Datcu und seine Männer gewöhnlich fahren.

Auch wenn das Süßwasser des Kachowka-Staudamms bis zur Küste Rumäniens geflossen ist, behauptet der Fischer, dass dies keinen Einfluss auf die Menge der Fische in seinen Netzen hatte. Allerdings kann er sich nicht verkneifen hinzuzufügen, dass das Meer immer stärker verschmutzt wird: „Beim Fischen auf hoher See füllt man drei Mülltonnen mit Abfällen, die in den Netzen hängen bleiben.

Heute könnten Hunderte oder sogar Tausende von Minen von Russland und der Ukraine versenkt worden sein. Diese militärischen Geräte geben auch chemische Verbindungen, Rückstände und Schwermetalle an die Meeresumwelt ab. Auch wenn die Besatzung von Matei Datcu nicht den Weg einer dieser Minen gekreuzt hat, bleibt sie wachsam. Eine einzige würde ausreichen, um das zerbrechliche Holzboot in Stücke zu reißen.

🤝 Dieser Artikel wurde im Rahmen des kollaborativen Projekts Come Together veröffentlicht.

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