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Adrienne Buller: Warum „grüner Kapitalismus eine Täuschung ist”

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Die größte Bedrohung für den ökologischen Übergang sind nicht die Klimaleugner, sondern der Glaube an falsche Lösungen, die vom sogenannten „grünen Kapitalismus“ versprochen werden. Vom Markt für Emissionsgutschriften bis hin zu Kohlenstoffkompensationen zeigen diese Strategien zunehmend die Grenzen der Dekarbonisierung auf, weil Machtsysteme und Ungleichheiten des Wirtschaftssystems dabei intakt bleiben. Die „unsichtbare Hand“ des Marktes allein kann den globalen Klimawandel nicht aufhalten.

Das erklärt Adrienne Buller, Mitglied im Forschungsteam des progressiven britischen Think Tank Common wealth, der seit 2019 über Eigentumsmodelle für eine demokratischere und nachhaltigere Wirtschaft nachdenkt. Buller ist Autorin des Essais Quanto vale une balena - Wieviel ist ein Wal wert? (Add publisher, 2024) und zusammen mit Mathew Lawrence des Buches Owning the Future (Verso, 2022).

Was bedeutet es, den Preis für einen Wal festzulegen?

Diese Idee stammt aus einer Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Jahr 2019, die den „wirtschaftlichen Wert“ eines Wals ermitteln sollte. Der geschätzte Wert lag bei zwei Millionen Dollar. Dahinter lag die gute Absicht, den Wert der Wale zu ermitteln, um ihren Schutz zu fördern. Dies zeigt jedoch auch eines der Probleme des kapitalistischen Umgangs mit der Klimakrise: Alles muss über die Logik des Marktes vermittelt werden, etwas kann nur einen Wert haben, wenn es einen Preis hat, selbst das Leben eines Wals.


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Worin besteht Ihrer Meinung nach der „grüne Kapitalismus“? Was sind seine Ziele?

Auf ideologischer Ebene basiert er auf der Idee, dass wir die Klimakrise durch eine vollständige Umgestaltung und Dekarbonisierung der globalen Wirtschaft bewältigen können, ohne dabei die sozialen Beziehungen und Ungleichheiten, die den Kapitalismus ausmachen, lösen zu müssen. Das Ziel ist, denke ich, die bestehenden Systeme so weit wie möglich zu erhalten und gleichzeitig große Teile der Wirtschaft umzugestalten. Konkret handelt es sich um eine Antwort auf die Klimakrise, die sich fast ausschließlich auf Marktmechanismen stützt. Sei es in Form von Kohlenstoffpreisen oder einer Politik der Unternehmensverantwortung (die sogenannten ESG-Kriterien, Anm. d. Red.), anstatt auf direktere öffentliche Investitionen und Interventionen zu setzen. Oder einfacher gesagt: Es geht um die Vorstellung, dass der Markt den Rest schon erledigen wird, wenn wir nur die richtigen Preise festlegen können. 

In den letzten zehn Jahren haben Hedgefonds (wie BlackRock, Vanguard und State Street) immer mehr an Macht gewonnen. Wie beeinflusst ihr Wachstum das Handeln oder Nichthandeln in Sachen Klima?

Die Beziehung zwischen diesen Unternehmen und dem Klima ist komplex. Einerseits sind sie selbst den Risiken des Klimawandels ausgesetzt, weil sie auf globaler Ebene investieren. Andererseits haben sie viel zu gewinnen oder verlieren, je nachdem, wie die Klimakrise bewältigt wird. Dabei ist nicht überraschend, dass sie sich für Marktmechanismen und neue (idealerweise staatlich geförderte) Investitionsmöglichkeiten für den Privatsektor aussprechen - alles Merkmale des grünen Kapitalismus.

Der Vorstandsvorsitzende des Investmentfonds BlackRock, Larry Fink, bezeichnete die Dekarbonisierung als „die größte Investitionsmöglichkeit unseres Lebens“. Die Größe dieser Fonds führt dazu, dass sie zunehmend auch direkten politischen Einfluss haben. Sie treffen Investitionsentscheidungen und bestimmen die Art und Weise, wie sie ihre Macht als Eigentümer großer Unternehmen ausüben.

BlackRock ist an dieser Front sehr aktiv, betreibt wirksame Lobbyarbeit und gilt als Autorität. Aus diesen Gründen wurde das Unternehmen beispielsweise gebeten, bei der Ausarbeitung europäischer Vorschriften für nachhaltige Finanzen beratend mitzuwirken, und mehrere seiner „Ehemaligen“ haben in der US-Regierung unter Präsident Joe Biden sehr einflussreiche Funktionen in der Klima- und Wirtschaftspolitik übernommen.

BlackRock argumentiert, dass die in den Klimavereinbarungen festgelegten Grenzen für die globale Erwärmung, wie etwa die 1,5-Grad-Grenze im Pariser Abkommen, auf wirtschaftlichen Einschätzungen beruhen. 

Der Ursprung der Zwei-Grad-Grenze wird dem Ökonomen William Nordhaus zugeschrieben und taucht erstmals in einem Papier aus dem Jahr 1975 auf, in dem er sich auf den Trade-off zwischen Temperaturanstieg und Wirtschaftswachstum bezieht. Er geht davon aus, dass ein Temperaturanstieg zwar dem Wachstum schadet, Maßnahmen zur Emissionsreduzierung jedoch ebenfalls.

Seine Arbeit war sehr einflussreich: Nordhaus erhielt den Nobelpreis für sein „Dynamisches integriertes Klima-Wirtschafts-Modell“ („Dice“), das die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und wirtschaftlichen Auswirkungen untersucht. Es ist eines von mehreren „integrierten Bewertungsmodellen“, die für die Klimapolitik verwendet werden. Vieles daran ist jedoch sehr abstrakt. Es besagt zum Beispiel, dass der „ideale“ Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zwischen 3,5 und 4 Grad Celsius liegen würde. Ein Szenario, das von der Wissenschaft als katastrophal angesehen wird und das Risiko des Erreichens mehrerer wichtiger ökologischer Kipppunkte erheblich erhöht. 

Es gäbe viele Gründe, die Modellierung von Nordhaus aus wissenschaftlicher Sicht zu kritisieren, aber das Problem ist umfassender. Die Bewertung des Verhältnisses zwischen Klima und Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist eine gängige Praxis, aber ich finde die Vorstellung absurd, dass die durchschnittliche globale Veränderung des BIP irgendetwas Nützliches darüber aussagt, wie wir auf die Klimakrise reagieren sollten: Sie ist eine zu grobe Zahl und spiegelt eine falsche Priorität wider. 

Darüber hinaus wird dadurch die Vorstellung aufrechterhalten, dass Klimaschutzmaßnahmen untrennbar mit einer florierenden Wirtschaft verbunden sind - ein angeblicher Kompromiss, der aber überhaupt nicht notwendig ist. Die Mehrheit der Weltbevölkerung kann von Klimagerechtigkeit nur profitieren: sichere und erschwingliche Energie, saubere Luft, grünere Gemeinden und eine Wirtschaft, die die Bedürfnisse aller in den Vordergrund stellt sollte das Ziel sein, und nicht die massive Bereicherung einer Minderheit auf Kosten des Planeten.

Um die Schäden des Klimawandels zu begrenzen, schlagen manche vor, sich mit diesen Lösungen zu begnügen, weil sie „besser als nichts“ sind. Stimmen Sie dem zu? Oder gibt es eine Alternative?

Diejenigen, die sich mit der Klimakrise befassen und sich deshalb Sorgen machen, suchen verzweifelt nach allem, was etwas bewirken könnte. In einigen Fällen bringen grüne kapitalistische Interventionen ja auch tatsächlich etwas. Risikominderung und staatliche Subventionierung von Investitionen in grüne Energie und kohlenstoffarmen Verkehr - alles Maßnahmen im Rahmen des US Inflation Reduction Act - stimulieren beispielsweise die Investitionen des Privatsektors. 

Die Tatsache, dass diese Instrumente Wirkung zeigen, bedeutet jedoch nicht, dass sie der beste Ansatz sind oder dass sie in der Lage sind, die Dekarbonisierung im erforderlichen Tempo zu gewährleisten. Und das heißt auch nicht, dass sie auf nationaler und globaler Ebene gerecht sind. 

Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die meisten dieser „Markt“-Mechanismen auf erhebliche öffentliche Unterstützung angewiesen sind, entweder durch direkte Subventionen und De-Risking oder durch Vorschriften zur Schaffung neuer Märkte. Dies trifft sicherlich auf die grüne Energie zu, eines der Beispiele, die üblicherweise als Beweis für den „Erfolg“ des grünen Kapitalismus angeführt werden. Aber die Geschichte ist viel komplexer, und für diejenigen, die sich dafür interessieren, empfehle ich das Buch The Price is Wrong von Brett Christophers, Professor an der Universität Uppsala. Während einige politische Maßnahmen, die in den Rahmen des grünen Kapitalismus passen, für den Übergang hilfreich sein könnten, sind viele andere jedoch bloß eine „Ablenkung“ und schlimmstenfalls sogar schädlich.

Damit der Markt etwas lösen kann, muss er nicht nur einen Preis festlegen, sondern dieser muss auch für ein privates Unternehmen profitabel sein.

Abgesehen von massiven Subventionen - und hier wäre die Frage angebracht, warum die Staaten nicht direkt investieren - sind viele der Maßnahmen, die wir für eine wirklich nachhaltige Zukunft brauchen, einfach weniger rentabel als diese „Alternativen“.

Nehmen wir zum Beispiel die Alternative zwischen einer Zukunft, in der jeder ein Elektrofahrzeug fährt, und einer Zukunft, die auf einem dekarbonisierten öffentlichen Verkehrssystem basiert. Nur letzteres ist wirklich nachhaltig, aber nicht das rentabelste. Das erste Szenario kann ebenfalls die Kohlenstoffemissionen reduzieren, birgt aber die Gefahr negativer Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte durch die intensive Gewinnung von Lithium, das für die Elektrobatterien benötigt wird.

Meiner Meinung nach ist dies ein grundlegendes Problem des grünen Kapitalismus: Der Markt kümmert sich nicht um Ungerechtigkeit und Ungleichheit, insbesondere auf globaler Ebene. Bei der Klima- und Umweltkrise geht es im Wesentlichen um enorme Ungleichheiten, sowohl innerhalb der Länder als auch zwischen Ländern. Ohne die Ungleichheiten zu berücksichtigen, sehe ich keinen Weg zu einer wirklich nachhaltigen, sicheren und gerechten Zukunft.

👉 Originalartikel auf Altreconomia
📺 Adrienne Buller über grüne Finanzen auf Climate Pod

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